Wersiboard Music 64
Testbericht von Richard Aicher, Mai 1985
Commodore 64 und das Wersiboard ähneln sich beinahe wie ein Ei dem anderen. Man könnte fast meinen, ein übernächtigter Fließbandarbeiter hätte aus versehen schwarze und weiße Tasten in ein Commodore-Gehäuse eingebaut. Selbes Beige, selbes Plastik, selbes Design, nur länger ist das Ganze. Genauer gesagt 46 Tasten lang. Das Keyboard besitzt einen Tonumfang von 4 Oktaven. Der Anschlag ist etwas lapprig, aber nun denn, der Mensch ist ein Gewohnheitstier und als Tastenspieler ist man ja bereits einiges gewohnt. Das Wersiboard wiegt beinahe gar nichts. Die ca. dreihundert Gramm lassen sich problemlos transportieren. Natürlich darf man Computer und Monitor sowie die Diskettenstation nicht vergessen. Ohne diese Gerätschaften läuft nämlich gar nichts. Man benötigt einen Commodore 64 mit Diskettenstation VC 1541 und als Sicht gerät entweder einen Fernseher oder besser einen Monitor. Und hier stellt sich denn auch erstmals die Frage, ob die Anschaffung dieses ganzen Geräteparkes die drei Stimmen, die das Wersiboard-System produzieren kann, rechtfertigt. Sicher wird kein Keyboarder knapp DM 2.000,- ausgeben, um dann einen dreistimmigen computergesteuerten Analogsynthi daheim zu haben. Der Anwenderkreis dürften eher die ‚Schon-Computerbesitzer‘ sein. Für sie ist das Wersiboard eine billige Ergänzung mit einigen raffinierten Features.
Demo-Sounds
Auf der Systemdiskette befinden sich 2 Programme und viele Demo-Sounds, die für 64er Verhältnisse überraschend gut klingen. Natürlich darf man keine Moog-Bässe oder Prophet-Bläser erwarten.
Bild J: Die Hardware – das Wersiboard mit Commodore SX 64
Im Commodore 64 sorgt der SID-Chip, ein einziges IC, für den gesamten Sound. Und dieses klingt nur in den Mittellagen gut. Außerdem sind die Sounds nie völlig frei von leichten Nebengeräuschen, die von hochfrequenten Einstreuungen im Computer herrühren. Zwei Basisprogramme, Mono 64 und Poly 64, bilden mit dem Keyboard die Grundausstattung des Systems. Das Ganze kostet zusammen 495,- DM. Gegen diesen Preis kann man nichts sagen. Verglichen mit anderen Keyboardzusätzen zum Commodore 64 ist die Preis/Leistungsrelation bei diesem System am günstigsten.
Mono 64-Programm
Mono 64 ist ein Eldorado für Klangbastler und Liebhaber von Geräuscheffekten. Vom Hubschrauber zum Dieselmotor, vom Gong bis zur Panflöte – ‚Mono 64‘ macht’s möglich. Mit ‚Poly 64‘, dem zweiten Programm, kann man dann richtig in die Tasten greifen. Dies ist das Programm für ‚Keyboarder‘ , weniger für Klangfetischisten. Nach dem Laden des Anfang-Programms können wir uns erst einmal für Mono 64 oder Poly 64 entscheiden. Das System lädt dann das Gewählte automatisch. Wie schon der Name sagt, verwandelt Mono 64 den Commodore 64 in einen monophonen Synthesizer mit sehr vielen Modulationsmöglichkeiten. Dieses Programm nutzt man zum Solo-Spiel oder für Effekte. Der Verzicht auf die restlichen zwei Stimmen des SID-Chips macht komplexe Modulationen möglich. Der dritte Tongenerator wird bei diesem Programm als langsamschwingender Modulationsoszillator genutzt. Der zweite Oszillator läuft mit dem ersten parallel, um eine bessere Klangfülle zu erreichen. Der Abstand, in dem die bei den Oszi‘ s laufen, ist stimm bar. Durch Einstellen einer leichten Schwebung klingen die Sounds dann etwas lebendiger. Die beiden Oszillatoren kann man mit unterschiedlichen Kurvenformen und Hüllkurven versehen.
Das Einstellfeld des Mono 64-Programmes
Solche Soundüberlagerungen ergeben schon beachtlich komplexe Klänge. Drei verschiedene Kurvenformen: Dreieck, Sägezahn und Rechteck sowie Rauschen stehen für jeden der beiden Tonoszillatoren zur Auswahl. Die Pulsweite des Rechtecks ist veränderbar. Ein Ringmodulator sorgt für besondere Soundeffekte.
Der Modulationsoszillator kann mit Dreieck, aufsteigendem Sägezahn oder Rauschen modulieren
Bild 3: Mehr Stimmen. aber weniger Klangvielfalt mit Poly 64
Geschwindigkeit und Grad der Modulation des Filters und der Oszillatoren lassen sich regeln. Wie auch bei allen anderen Parametern erscheinen die eingestellten Werte in numerischer Form im Display. Die Envelope Sektion verfügt über einen Hüllkurvengenerator der gleichzeitig auf Filter und VCA wirkt. Wie üblich lässt sich Attack, Decay, Sustain und Release regeln. Der Filter des SID-Chips bietet neben Low Pass, Band Pass und High Pass noch 4 verschiedene Filter-Mischformen. Cutoff Frequency, Resonanz und der Grad der Modulation durch den LFO sind veränderbar. Die Parameter stellt man mit den Funktionstasten ein. Hierzu bewegt man mit Taste F 1 bzw. F 2 einen kleinen Cursorpfeil am Bildschirm von Parameter zu Parameter. Mit F 5 bzw. F 7 kann man die Werte dann erhöhen oder erniedrigen. Die erstellten Sounds lassen sich in der Programmgrundversion nicht auf Diskette abspeichern. Es haben auch nur maximal 12 Sounds bei Mono 64 bzw. 5 Sounds bei Poly 64 im Arbeitslager Platz. Nicht gerade viel. Doch mit der Programmerweiterung des Sound Pak 1, soviel gleich hier, kann man erstens sehr viel mehr Sounds bearbeiten und diese überdies auch auf Diskette abspeichern. Mit dieser Erweiterung haben je Programm 320 verschiedene, also insgesamt 640 Sounds im Arbeitsspeicher Platz. Jeweils 32 Sounds bilden eine Speicherbank. 10 Speicherbanken stehen für jedes Programm zur Verfügung. Bei so vielen Programmen verliert man leicht den überblick. Deshalb kann man die Namen der eingespeicherten Sounds jeder Bank in einer Bildschirm-Tabelle abrufen.
Die eingestellten Parameter der einzelnen Sounds kann man mit einem angeschlossenen Matrixdrucker ausgeben. Die ist praktisch für die Archivierung der Klänge.
Poly 64-Programm
Wer des monophonen Geklimpere auf den Tasten überdrüssig ist, kann mit Poly 64 dreistimmig in die Tasten greifen. Die klanglichen Möglichkeiten sind dann im Vergleich zu Mono 64 jedoch eingeschränkt. Bild 3 zeigt das Klang-Wahl-Menue von Poly 64. Die drei Stimmen lassen sich hier nicht mit unterschiedlichen Sounds versehen. Wie wir im Bild erkennen, lassen Envelopes, Pitch, Waveform und Pulsbreite nur für alle drei Oszillatoren gemeinsam regeln. Genau wie bei Mono 64 kann man die Namen der abgespeicherten Klänge Bank für Bank in einer Tabelle am Bildschirm betrachten. Genau wie dort druckt die Software auf Wunsch eine Liste mit den Soundparametern einer Soundbank aus.
Sound Pak Programme
Als Ergänzung zu diesen zwei Programmen bietet Wersi diverse Zusatzsoftware, die sogenannten Sound Paks an.
Der Sequenzerzusatz bietet immense Modulationsmöglichkeiten
Zusatzsoftware ist allerdings untertrieben. Es handelt sich bei allen diesen Sound Paks um eigenständige Programme. Sie bieten ähnliche Klangeinstellmöglichkeiten wie die beiden Grundprogramme, weisen darüberhinaus aber noch interessante Zusatzfeatures auf.
Sound Pak 1 ist ein Sound-Memory-System. Wie schon erwähnt, erweitert es die Speicherkapazität der Grundprogramme bis auf 640 Sounds in 20 Banks mit jeweils 32. Sounds. So gibt man die Sequenzen in die Notenzeilen ein. Die Sounds lassen sich alle mit eigenen Namen versehen, am Bildschirm auflisten oder als Hardcopy über einen angeschlossenen Commodore-kompatiblen Drucker ausgeben.
Sound Pak 2 ist eine Sequenzer- Software. Sie verfügt zusätzlich über sehr ausgefeilte Klangeinstellmöglichkeiten, die sowohl im monophonen als auch polyphonen Modus wirkt. Jeder der drei Oszillatoren lässt sich mit eigenem Sound versehen. Lediglich der Filter bleibt für alle drei Stimmen der gleiche. Alle anderen Parameter wie ADSR Einstellungen, Waveforms, Pulsweite und Filter on/ off kann man jedoch unabhängig voneinander auf die einzelnen Stimmen schalten. Alle Parameter sind Realtime veränderbar. Das heißt, man kann gleichzeitig spielen, hören und verändern. Dies ist zwar für Synthesizer mittlerweile ganz normal, für Commodore 64 Musikprogramme jedoch nicht alltäglich. Die Oszillatoren lassen sich synchronisieren und ringmodulieren und zwar wählbar, jeder Parameter mit jedem. Hervorragend sind die Modulationsmöglichkeiten über die zwei LFO’s. Sie lassen sich unabhängig voneinander auf fast alle modulierbaren Parameter aufschalten. Alle Klangeinstellparameter haben auf einer Bildschirmtafel Platz, die recht übersichtlich gestaltet ist. Natürlich benötigt man etwas Einarbeitungszeit, bis man sämtliche Befehle kennt. Hier hilft jedoch die Help-Page. Das ist eine Art Software-Bedienungsanleitung. In Notfällen ruft man sie auf den Bildschirm.
Sound Pak 3: jeder Taste der eigene Ton
In ihr werden alle Funktionen und die dazugehörigen Befehlseingaben auf gelistet. Die Aufnahme der Sequenzen erfolgt in einer Art Mischung von Composer und Step by Step Eingabe. Die drei Stimmen können nur nacheinander programmiert werden. Drei verschiedene Taktarten, 2/4, 3/4 und 4/4 sind wählbar. Im Bild sehen wir das Sequenzeingabe-Display. Zunächst wählt man die gewünschte Stimme an, dann die Notenwerte die im anliegenden Takt vorkommenden Töne. Danach gibt man über das Keyboard die zugehörigen Tonhöhen ein. So programmiert man der Reihe nach Takt für Takt. Die einzelnen Takte können im Controltrack-Mode in beliebiger Reihenfolge aneinander geheftet werden. Die ist nichts anderes als eine Sequenzchain. Jeder Takt lässt sich mit eigenem Sound versehen. Natürlich kann man nur aus den Sounds der geladenen Soundbank auswählen. Jeweils 10 Sounds bilden eine Bank. Die Soundabfolge programmiert man in einer Song-Chain im Soundtrack-Mode. Auf der Diskette sind bereits diverse Sounds und viele Sequenzbeispiele mitgeliefert. Natürlich lassen sich auch alle erstellten Sounds und Sequenzen auf Disk speichern. Der Inhalt der Diskette kann auf dem Bildschirm ausgegeben werden.
Das Intonationsprogramm des Sound Pak 3 lässt sich auch in das Sequenzerprogramm laden. Skalierungsprogramm Ein besonderer Gag ist das Skalierungsprogramm auf der Sound Pak 3-Diskette. Hiermit ist die Intonation des Keyboards beliebig festlegbar. Das heißt, jede Taste lässt sich einzeln stimmen. Ein Feature, mit dem das Wersiboard-System fast alle gängigen Keyboards schlägt. Die Stimmung lässt sich entweder manuell oder automatisch vornehmen. Bei der manuellen Eingabe fragt die Software für jede Taste die gewünschte Frequenz ab. Nach dem Eintippen wird die neue Stimmung am Bildschirm aufgelistet und lässt sich dann mit 10 Preset Sounds auf dem Keyboard spielen. Im Automatik-Mode berechnet die Software die neue Stimmung. Man kann hierbei zwischen Linearer, Geometrischer und Exponentieller Stimmung wählen. In jedem Fall gibt man einen Faktor ein, der im Fall a) als konstanter Summand, im Fall b) als konstanter Faktor und im Fall c) als konstanter Exponent in die Berechnung eingeht. So erhält man schnell Skalierungen, die bisher nicht zu verwirklichen waren. Vor allem für Experimentalmusiker dürfte dieses Programm äußerst interessant sein und unter Umständen die Anschaffung dieses Systems überlegenswert machen. Sowohl das Sequenzer- als auch Mono 64 und Poly 64 sind mit dem Skalierungsprogramm kompatibel. Die Stimmungen lassen sich also von diesen Programmen übernehmen.
Zusammenfassung
Das Wersiboard-System ist etwas für Musiker, die bereits einen Commodore 64 besitzen. Da das System mit dem Sound-Chip des Commodore 64 arbeitet, sind die Sounds leider von leichten Nebengeräuschen begleitet. Die Klangmöglichkeiten des Systems sind nicht zuletzt Dank der vielfältigen LFO und Ringmodulations- sowie Synchronisationsmöglichkeiten ausgezeichnet. Besonders die Möglichkeit der freien Intonation des Keyboards sucht nach seinesgleichen. Der Sequenzer ist gut durchdacht. Schade ist jedoch, dass die Sequenzen nicht auch Realtime einspielbar sind und keine ernst zu nehmende Notendarstellung am Bildschirm möglich ist. Alles in allem ist das Wersiboard Music 64-System in Verbindung mit den Sound Paks momentan von der Preis/Leistungsrelation eine der interessantesten Keyboard/Musiksoftware-Erweiterungen zum Commodore 64.
Die ungefähren
Preise für das Wersi-System
betragen: Keyboard mit den zwei
Grundprogrammen DM 495,-
Sound Pak 1: DM 65,-
Sound Pak 2: DM 89,50
Sound Pak 3: DM 39,50.
Richard Aicher, Mai 1985