Sequential Circuits Multitrack
Testbericht von Richard Aicher. Erschienen im Mai 1985 im Musikmagazin Soundcheck
Ein Winzling. Vom Äußeren her, jedenfalls. Auf den ersten Blick war ich zunächst einmal enttäuscht. Der Multitrack hat mit Sequential Circuits Design von früher nichts mehr zu tun. Vorbei sind die Zeiten, als Keyboards wie der legendäre Prophet V auch noch wie solche aussahen. Das Plastikzeitalter und die Miniaturisierung greift auf dem Keyboardmarkt um sich. Doch diese Mini-Dinger leisten mehr als weit massivere Vorfahren. Das Keyboard des Multitrack umfasst fünf Oktaven und ist sechsstimmig mit regelbarer Anschlagsdynamik spielbar. Diese lässt sich auf die Lautstärke, den Filter und den LFO-Amount legen. Verglichen z. B. mit Roland Keyboards ist der Anschlag härter. Die sechs Voices werden mittels ‚last note priority‘ den jeweils sechs zuletzt gespielten Tasten zugeordnet. Zwei Wheels an der linken Seite ermöglichen Pitch Modulation im Bereich einer Terz nach oben und unten, sowie Modulation der Oszillatoren.
Die sechs Voices sind total nach herkömmlichem Schema spannungsgesteuerter Analog-Synthies aufgebaut und voneinander völlig unabhängig. Der resultierende Sound ist ein Leckerbissen für Analog-Fans und mit zunehmender Digitalisierung der Keyboard-Klangwelten eine erfrischende Abwechslung.
Die Oszillator-Waveforms sind Sägezahn, Dreieck und Rechteck und können unabhängig voneinander an und abgeschaltet werden, lassen sich jedoch leider nicht stufenlos mischen. Die Pulsweite ist natürlich manuell regelbar (1%-99%), lässt sich aber auch automatisch vom LFO modulieren. Zum Oszillatorsound lässt sich Noise in beliebigem Verhältnis zum ischen. Die Oszillatoren sind im Bereich von vier Oktaven grob- und innerhalb eines Halbtones feinstimmbar. Hierzu tippt man zweistellige Digitalwerte ein. So steht z. B. ’00‘ für die tiefste Oktave, 12 für die nächsthöhere, 24 wieder für eine drüber usw. Ein Digit entspricht einem Halbton. Schade, dass die Werte -nicht in den entsprechenden Tonbezeichnungen übersetzt werden.
Mit einem Master Tune, der nicht in das Memory übernommen wird, lässt sich das ganze Oszillatorset gemeinsam im Live-Betrieb nachstimmen. Der Multitrack verfügt über automatisches Tuning. Nach genau 30 Sekunden Spielpause wird der Reihe nach jeweils ein Oszillator neu gestimmt. Greift man in die Tasten, unterbricht der Multitrack den Tuning- Vorgang sofort. Auch kurz nach dem Einschalten des Multitracks werden als erstes die Oszillatoren gestimmt. Für witzige Effekte sorgt die Glide-Funktion, vor allem im polyphonic Mode (Unisono off). Normalerweise setzt man sie nur im sogenannten ‚Unisono Mode‘ ein (alle Oszillatoren spielen einen Ton, entspricht monophonem Synthie mit sechs Oszillatoren). Die langsamste Glide-Geschwindigkeit ist ca. drei Sekunden/Oktave.
Für jede Voice des Multitracks stehen zwei Modulationssysteme zur Verfügung: Frequency-Modulation und LFO-Modulation. Im ersteren Fall moduliert die Oszillatorfrequenz den Filter (high-frequency modulation). Damit erhält man recht interessante ringmodulatorartige Sounds (Glocken und Crashs, DX 7-Percussion). Der LFO bietet Dreieck- -und Rechteckkurvenformen für Vibratos, Triller und ähnliches. Die LFO-Frequenz reicht von ca. 1/4 Hz bis 20 Hz. Die Modulationstiefe (Amount) regelbar. Der Multitrack stellt je Voice zwei LFOs zur Verfügung: einen für den Oszillator und einen für den VCF. Ein dritter LFO wäre natürlich nicht schlecht gewesen.
Drei Envelopes machen das Klangtüfteln zur Freude. Oszillator, Filter und VCA verfügen jeweils über eine eigene Envelope. Mit der Oszillatorenvelope lassen sich z. B. ätzende Toms mit original Simmons-Bend-Effekt realisieren. Die regelbaren Bereiche (ca. 1 bis IS Sek.), sind wie gewohnt: Attack, Decay, Sustain und Release, sowie der Envelope-Amount.
Ein 24 dB (4-pol) Low Pass sorgt für guten Ton. Die Cutoff-Frequenz ist mit 128 Digits sehr fein einstellbar. Der Filter lässt sich deshalb bei entsprechend hoher Resonanz als vierte Ton-Signalquelle einsetzen. Dann wirkt der Cutoff-Regler als Tuningregler für den Sinus-Sound des schwingenden Filters. Wie schon erwähnt, lässt sich der Filter sowohl vom LFO als auch von der Oszillatorfrequenz modulieren.
Die LFO-Modulation ist schaltbar , die Oszillator- Modulation regelbar. Das Keyboard- Tracking lässt sich in drei Stärken auf den Filter schalten. Den schwingenden Filter kann man so als Pseudo-Oszillator über das Keyboard spielen.
Für das Kind der jüngsten Digitalgeneration ist selbstverständlich, dass die gesamte Steuerung des sonst analogen Geräts voll digital abläuft. Das heißt für den Musiker: Tipptaster , LEDs und Digital LED-Displays. Fast alle Parameter sind in 64 Digits aufgelöst, die Cutoff-Frequenz sogar in 128. Die feine Auflösung vermindert hörbare Sprünge beim Verändern der Parameter in Realtime. Das Problem der Parameterwahl im Edit-Mode ist recht gut gelöst. Alle Parameter stehen im Parameter Edit Feld, einem Feld mit vier Zeilen (Banks) und 10 Spalten
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(Parameter). Jeder Parameter steht auf einem Kreuzungspunkt einer Zeile mit einer Spalte. Mit dem Bank- Switch wählt man die Bank an, in der der gewünschte Parameter steht. Sie wird von einer LED markiert. Dann wählt man mit dem Spalten- Select Switch die richtige Spalte. Unter jeder Spalte befindet sich ein eigener Select Switch. Mit einem Parameter Value-Regler stellt man dann den gewünschten Parameter ein. Der eingestellte Wert erscheint im Display. Bei Programmieren eigener Sounds kann man entweder von den 100 mitgelieferten Sounds ausgehen oder vom sogenannten Basic Patch. Das Basic Patch ist nichts anderes als eine Minimal-Einstellung des Multitracks. Man hört einen ganz einfachen Sägezahnton. Alle anderen Parameter sind automatisch auf 0 zurückgestellt. So lassen sich neue Sounds ganz von den Roots an schnell programmieren.
Erst das Herzstück, der sechsstimmig polyphone Sequenzer macht den Multitrack zu dem, was er ist, eine perfekte Komponier- und Arrangiermaschine. Er kann vier polyphone Sequenzen, insgesamt 1600 Töne, aufnehmen und wiedergeben. Die vier Sequenzen lassen sich zur Wiedergabe in beliebiger Reihenfolge aneinanderhängen. Jede Voice lässt sich mit einem völlig eigenständigen Sound versehen, auswählbar aus den 100 Memories. Dann klingen die einzelnen Stimmen allerdings recht dünn. Nur ein Oszillator je Voice ist eben etwas wenig. Der Sequenzer arbeitet in drei verschiedenen Modes. Im ‚Record Basic Track‘-Mode wird die Grundspur angelegt, die die Sequenzlänge bestimmt. Die restlichen Spuren nimmt man dann im Overdub-Mode auf. Mit den sechs Track-Switches bestimmt man, wieviele und welche Tracks im jeweiligen Durchlauf aufgenommen werden sollen. Im Overdub- Mode werden zuvor aufgenom – mene Sequenzen nicht gelöscht. Ein eingebautes Metronom erleichtert die Aufnahme der Sequenzen. Die ‚Auto Correct ‚-Funktion korrigiert direkt während dem Einspielen, wählbar auf gerade achtel oder Triolen. Daneben gibt es nur noch einen Hi-Res Mode mit 96er Quantelung. Eine 32tel Autokorrektur hat man leider nicht vorgesehen. Im Overdub Mode lassen sich die aufgenommenen Tracks editieren, also Töne hinzufügen oder löschen. Der Sequenzer lässt sich zu jedem Standard Midi Clock, z. B. von einer Drum Maschine kommend, synchronisieren. Auch ‚Nicht-Midi ‚-Clockimpulse kann man zur Synchronisation benutzen, z. B. einen Sync- Puls zur Tape-Synchronisation. Bequemer als per Hand startet man die Sequenzen per Footswitch. Die Playback- und Aufnahmegeschwindigkeit lässt sich in genügend großem Bereich regeln.
Arpeggiators kamen in letzter Zeit etwas aus der Mode. Der Multitrack hat wieder einen. Er arbeitet auf drei verschiedene Weisen: Up/ Down und Assign. Das Arpeggiator- Memory reicht für maximal 16 gedrückte Tasten. Er nutzt ausschließlich Voice 6. Die Arpeggios lassen sich transponieren. Im Assign-Mode kann man kurze Riffs abspeichern. Der Arpeggiator spielt in diesem Fall die Töne in der gleichen Folge, wie sie eingespielt wurden.
Zur Soundverbesserung ist ein Stereochorus eingebaut. Er ist natürlich an- und abschaltbar, Tiefe und Geschwindigkeit lassen sich regeln.
In dieser Klasse bisher nie dagewesene Soundmöglichkeiten bietet der ‚Stack‘-Mode (Stack = Stapel). Zu verdanken ist dies wiederum den sechs, voneinander völlig unabhängigen Voices. Genau wie im. Sequenzer- Mode lassen sich auch im Realtime- Mode bis zu sechs verschiedene Sounds gleichzeitig auf einen gespielten Ton legen. Je nach dem, wieviele Programme man auf diese Weise Huckepack übereinanderlegt, verringert sich natürlich die Zahl der spielbaren Stimmen. Legt man zwei Sounds übereinander, kann man noch dreistimmig spielen, bei dreien bleiben jedoch nur noch zwei Stimmen unabhängig voneinander spielbar. Mit den Stacks kann man auch Split-Points auf dem Keyboard abspeichern. Bis zu fünf Stacks kann man auf die linke Keyboardhälfte legen. Die verbleibenden liegen dann auf der rechten Hälfte. Für jede Hälfte lässt sich getrennt bestimmen, ob sie polyphon oder als monophoner Stack gespielt werden soll. Zehn verschiedene Stack/Split-Presets haben im Memory Platz.
Der Multitrack ist einer der wenigen Keyboards, die im Mono-Mode arbeiten können. Schließt man einen Computer mit Midi-Recorder-Software an, können die sechs Voices des Multitrack selektiv angesprochen werden. Belegt man die sechs Voices mit unterschiedlichen Sounds, spart man auf diese Weise einige Keyboards. Ein Channel spielt dann meinetwegen den Bass, drei andere die Begleitung, und es bleiben noch zwei Channels für eine fette Solostimme. Vier verschiedene Midi-Modes stehen zur Verfügung: Omni On/Mono Off, Omni On/Mono On, Omni Off/Mono Off und Omni Off/Mono On. Ob die Wheel- bzw. Keyboard Pressure Daten bzw. Programmwechselinformationen übertragen werden sollen oder nicht, lässt sich wählen. Diese Zusatzinformationen benötigen ja immer ziemlich viel Speicherplatz und werden nicht immer benötigt. Der Midi Channel und der Midi Mode Switch befinden sich mit den beiden Tape Memory Switches, den Master Tune und Volume Reglern, .sowie den Chorusreglern im rechten Abschnitt des Panels.
Alle Ein- und Ausgänge liegen auf der Rückseite des Geräts und sind als Klinkenbuchsen ausgeführt. Zwei Mix Outputs, die sechs Track Outputs, Midi In und Out, Tape-Memory In und Out, sowie ein Footswitch- Jack. Ein Midi Thru ist unverständlicher weise nicht vorhanden. Einzeln abgenommene Tracks werden aus den Summen Outs abgeschaltet. Die Einzelausgänge sind für die Anwendung im Studio natürlich ein Segen und sparen teures Nachrüsten. Vom Werk wird der Multitrack mit 100 Demosounds und vier Demosequenzen geliefert. Sie verdeutlichen so ziemlich das gesamte Soundspektrum des Multitrack und sind ordentlich programmiert. Eine Demosequenz zeigt die Möglichkeiten des Multitracking. Beim Antesten erhält man über die gespeicherten Presets also einen recht genauen Eindruck von den Möglichkeiten des Keyboards. Der Multitrack bietet den Sound für Analog-Freaks. Vor allem die Möglichkeit mehrere Sounds übereinanderzulegen und Keyboard-Splits zu definieren sind in dieser Preisklasse einmalig. Der integrierte Sequenzer ist leicht zu bedienen und bietet die Möglichkeit, einfach und schnell gute Arrangements zu erstellen. Vier Sequenzen sind jedoch nicht gerade viel. Legt man auf jede Voice einen anderen Sound, klingen die Stimmen nicht mehr gerade bombastisch, dafür hat man aber viele Sounds gleichzeitig parat. Die Programmierung der Sounds geht nach analogem Muster und funktioniert mit der Zeilen/ Spalten-Methode recht übersichtlich. Midi-Freaks werden sich über den Mono-Mode freuen. Im Studio sind die Track-Einzelausgänge ein großer Vorteil. Der Preis des Multitrack beträgt ca. DM 5500,-.
Aicher