Zumächst dachte ich mir, Oscar sei ein Relikt aus der Synthi-Steinzeit, nur neu aufgelegt. Wer spielt heute noch ein monophones Keyboard, ausser er hat einen der legendären Minimoogs zu Hause? Doch Oscar räumte die anfängliche Skepsis im Lauf des Tests schnell beiseite. Oscar ist kein kleiner kautziger Nachbar, sondern ein neuer zweistimmig spielbarer Solosynthi aus England mit umfangreichen Memory- und Sequenzerftmktionen. Sein Äußeres – ungewohnt im Design und mit nichts Anderem vergleichbar. Oscar sieht aus, als könnte ihm auch ein Sturz aus dem vierten Stock nichts anhaben: bullig umd schlagfest. Beschriftet mit riesen Lettern, die Farben hellbeige und schwarz, wuchtige „Stoßdämpfer“, die die Drehknöpfe auf der Frontplatte schützen sollen, ungeheuer massive Seitenteile, all dies lässt ihn nicht gerade grazil, geschweige denn futuristisch wirken. Leider hält die demonstrierte Massivität nicht so ganz, was sie verspricht. Die Stoßdämpfer sind aus Weich-Plastik und, zumindest beim Testmodell, wackelig, weil nur aufgesteckt. Auch die Drehpotis wackeln. Den Vergleich mit der strotzenden Massivität eines Minimoogs kann Oscar nicht bestehen. Trotzdem, er überlebt unsanfte Schläge im rauhen Live-Betrieb.
Das Keyboard
Das drei-oktavige Keyboard lässt sich sauber spielen. Kein lappriger Anschlag, sondern wirklich guter Druckpunkt. Bei Oscar ist es nicht bloß zum Spielen da. Die Tasten sind in verschiedene Bereiche eingeteilt und nummeriert. Im Edit-Mode besitzen sie nämlich ganz bestimmte und, je nach Mode, wechselnde Ftmktionen. Durch gleichzeitiges Drücken einer bestimmten Tastenund Push-Button-Kombination kann man Sound-, Sequence- und Kurvenform- Presets anwählen sowie Kurvenformen synthetisieren, die Oszillatoren stimmen oder Sequenzen eingeben oder editieren. Am Keyboard gibt’s noch ein Pitch- und ein Modulation- Wheel. Neben den Wheels zwei Push-Buttons, mit denen sich die Fußlage des Keyboards Step-By-Step ändern lässt.
Oszillatorsektion
Oscar hat zwei Oszillatoren mit jeweils drei Kurvenformen: Dreieck, Sägezahn und Rechteck. Dann gibt ’s noch ein Rechteck mit wählbarer ‚fixed‘ Pulsweite und eines mit dreieckmodulierter Pulsweite. Natürlich gibt’s auch Noise. Das ist aber noch lange nicht alles. Neben diesen altbekannten Waveforms hat man noch 5 Preset-Waveforms zur Verfügtmg: Full Organ, Harpsichord, Strang Lead, Double Pulse und Tripie Pulse. Und dann lassen sich, wie gleich zu sehen, 5 weitere Waveforms selbst programmieren und auf die bei den Oszillatoren legen. Oscar nutzt hierzu das Verfahren der additiven Klangsynthese, und das ist bei einem Synthi in dieser Preisklasse neu. Wie bei einer Sinus-Zugriegel- Orgel lassen sich die Waveforms durch Mischen (Addieren), Mastertune und Detune der beiden Oszillatoren auch durch Drücken von entsprechenden Keyboard-Tasten und einem Push-Button einstellen. Mit dem Osc Balance-Regler kann man die bei den Oszillator-Outputs mixen. Ein weiteres Poti regelt das Verhältnis von Noise- und Oszillator- Mastervolume. Mit zwei Potis lässt sich der Einfluß des Modulation- Wheels auf Filter und Oszillator, sowie des Bend-Wheels auf die Oszillatoren regeln.
Sehr umfangreich sind die Glide- Funktionen. Der Glide-Drehschalter besitzt sechs Stellungen für Portamento oder Glissando mit einstellbarer Time oder mit ‚fixed‘ Time. Daneben gibt es noch eine Auto-Stellung.
Filtersektion
Es sind zwei 12 dB Filter vorhanden, die man in Serie oder parallel schalten kann. In Serie sind sie 24 dB steil, parallel hat man 12 dB Filter, deren Cutoff-Frequenz unabhängig voneinander im Bereich von 16 Hz bis 16 kHz regelbar ist. Die Filter lassen sich als High-Pass, Low-Pass oder Band-Pass schalten, sowie als Tracking Filter. Filter wie Oszillator lassen sich vom LFO modulieren, der Dreieck, Sägezahn und Rechteck zur Verfügung stellt.
Envelopes
Zwei getrennte ADSR steuern Filter und Verstärker. Sie können auf die unterschiedlichste Weise gemeinsam oder getrennt vom Keyboard, dem Clock-Oszillator oder extern getriggert werden. Außer dem Stufenschalter für den Trigger-Mode gibt ’s noch den Function-Mode- Schalter. Hier schaltet man zwischen monophonem und duophonem Spiel um, wählt‘ den Arpeggiator an, oder die drei Hold-Funktionen.
Sound
Der Sound des Ganzen ist recht fetzig und erinnerte mich etwas an den Moog-Source. Eben recht gute Bässe, nicht ganz so gewaltig wie einst beim Minimoog, etwas ‚digitaler. Recht gut lassen sich Orgelsounds in allen Varianten erzeugen. Die Presets kann ich nicht beurteilen, da im Testgerät aufgrund eines Transportschadens auf dem Weg aus England alle Memories gelöscht waren.
Sequenzer
Insgesamt haben 12 Sequenzen und 10 Songs im Memory Platz. Jede Sequenz kann maximal 255 Events lang sein, für jeden Song sind bis zu 255 Sequenzen einsetzbar. Ton, Pause, Programmwechselinformation, Repeat-Befehle oder Untersequenzen gelten als Event. Die Repeat-Funktion erlaubt eine beliebige Wiederholung von Sequenzen, wobei die Wiederholung als ein Event gewertet wird.
In den 10 Songs lassen sich auch Voice -Änderungen mitabspeichern. Sequenzen und Songs kann man editieren. Das Einfügen oder Löschen einzelner Events geht einfach.
Der Sequenzer ist eine Art Composer. Die Töne gibt man über das Keyboard ein; sie können gebunden werden. Auch Legatospiel merkt Oscar sich. Pausen markiert man durch Drücken eines Push-Buttons. Es dauert einige Zeit, bis man perfekt mit den 5 Sequenz-Druckschaltern umgehen kann, die je nach Mode diverse Funktionen erfüllen. Im Playback-Mode mit Duo-Trigger kann man zum Playback der Sequenz eine Melodieline auf dem Keyboard spielen. Waveforms, Voices und Sequenzen lassen sich getrennt oder in beliebigen Kombinationen auf Cassette speichern. Also zum Beispiel Waveforms und Voices zusammen, oder Voices und Sequenzen. Sie lassen sich aber immer nur als ganze Sets auf Cassette ausgeben. Die 5 LEDs zeigen jeweils an, ob und was geladen oder gespeichert wird.
An Sounds stehen 24 Presets und beim Testmodell 12 programmierbare Sounds zur Verfügung. Wie aus England zu erfahren war, wird Oscar aber jetzt mit 36 frei programmierbaren Sounds geliefert. Sämtliche Schalter und Potistellungen werden ins Memory mit übernommen. Die Programme ruft man durch Drücken einzelner Sinuskurven unterschiedlicher Frequenz und Amplitude erzeugen. Nur daß hier keine Zugriegel gezogen werden, sondern alles via Elektronik passiert. Im Waveform Edit-Mode sind 24 Keys ebenso viele harmonische Obertöne zugeordnet, die man durch Tastendruck zur Oszillator- Waveform addieren kann. Mehrfacher Druck auf die entsprechende Taste verdoppelt jeweils die Amplitude des entsprechenden Obertones. Die einzelnen Harmonischen lassen sich auch wieder löschen. Klingt alles unheimlich kompliziert? Wirklich, man muß auch etwas üben, bis man die Prozedur kapiert hat und gezielt Waveforms synthetisieren kann. Dann stehen aber Klangbastlern Tür und Tor offen.
Die Fußlage von Oszillator 2 lässt sich von -2 bis +3 Oktaven gegen Oszillator 1 verstimmen. Natürlich gibt’s auch ein Master-Tunepoti. Die Oszillatoren können von 32 bis 2 Fuß gestimmt werden. Fünf LEDs zeigen die Fußlage an. Die gleichen LEDs sind in anderen Programm-Modes für andere Dinge zuständig, man darf sich dadurch anfangs nicht verwirren lassen. Wenn man will, kann man von Push-Button und Keyboardtaste auf. Man kann deshalb Programme nicht wechseln, ohne das Spiel zu unterbrechen.
Oscar ist, wie es sich mittlerweile für einen Digital-Synthi gehört, MIDI-kompatibel. An der Rückwand befinden sich MIDI In, -Out und – Thru. Sonst verfügte mein Prototyp nur über eine Audio-Out und eine kombinierte Trigger /Tape-Memory Buchse. Oscar ist jetzt in Deutschland erhältlich. Sein Preis liegt unter DM 3000,-.
Zusammenfassung
Das Gerät ist super für Sound und Experimental-Freaks, die einen voll speicherbaren Lead- und Effekt- Synthi mit Sequenzer suchen. Es erfordert einige Zeit, bis man alle Features durch hat. Oscar besitzt hervorragende Möglichkeiten der Waveform-Generation für seine beiden Oszillatoren. Die Memories sind, wie schon erwähnt, nach dem Prototyp von 580 auf 1500 Steptime Events für den Sequenzer erweitert worden. Auch wurden die freien Voice-Memories jetzt auf 36 aufgestockt, und das kann sich sehen und hören lassen. Vielleicht hätte man aber anstatt die Tasten des Keyboard mit Schaltfunktionen zu belegen, lieber eine numerische Tastatur eingebaut, wie es ja auch PPG nach einem mißglückten, ähnlichen Versuch mit dem Wave 360 machte.. Fazit: Absolut super für Hardcore Synthi-Freaks, ansonsten hätte der Oscar getrost einige Jahre früher auf. den Markt kommen können.
Richard Aicher, April 1985 für Soundcheck